Mit Minimalismus das Leben vereinfachen
- Melanie Reincke
- 27. Mai 2021
- 7 Min. Lesezeit
Geht es dir auch so, du hast gerade aufgeräumt und nicht viel später ist schon wieder überall Unordnung? Oder schlimmer noch, du würdest gerne aufräumen, weißt aber gar nicht, wohin mit den ganzen Sachen, weil entweder der ganze Stauraum schon voll ist oder die Sachen einfach noch keinen festen Platz haben? Ich spreche da aus leidvoller Erfahrung... Was hier helfen kann und was wir bei uns zum Teil schon umgesetzt haben, ist Minimalismus.
Vielleicht verbindest du mit Minimalismus Beispiele von Menschen, die nur noch 50 oder 100 Sachen besitzen oder mit ihrer kleinen Familie in einem Tiny-Haus auf 25-30 qm leben und damit anscheinend gut zurechtkommen.
Diesen Ansatz verfolgen wir allerdings nicht, wenn wir von einem einfachen minimalistischen Leben sprechen. Wir mögen viele unserer Sachen und möchten auch nicht darauf verzichten oder sie hergeben, um unseren Besitz an einer bestimmten Zahl festzumachen.
Wir finden es für uns passender, unsere Sachen durchzugehen und uns dabei zu fragen, ob uns der Gegenstand (noch) gefällt, ob wir ihn ersetzen würden, wenn er kaputt gehen würde oder ob wir ihn im Falle eines Umzugs gerne an unseren neuen Wohnort mitnehmen würden. Dabei ist es hilfreich, die Gegenstände einzeln in die Hand zu nehmen und darauf zu achten, welche Gefühle dadurch ausgelöst werden.

Loslassen und Entrümpeln als Prozess
Auf diese Weise ist es möglich, den Besitz nach und nach zu reduzieren. Ich finde es auch wichtig, sich dabei etwas Zeit zu lassen und das Entrümpeln und Loslassen als einen Prozess zu betrachten. Es gibt genügend Videos, die zeigen, wie Menschen in einer Wochenendaktion ihre komplette Wohnung oder ihr komplettes Haus ausmisten, dabei mindestens 30 Müllsäcke füllen und diese dann entsorgen.
Klar ist es schön, am Ende des Wochenendes alles erledigt zu haben und dann stolz auf sich sein zu können. Es gibt aus meiner Sicht allerdings auch einige Gründe, die gegen diese Vorgehensweise sprechen.
Die Trennung von Besitz kann Ängste auslösen und sollte daher als ein Prozess betrachtet werden, der über einen längeren Zeitraum – sogar über Jahre – dauern kann. Forscher gehen heute davon aus, dass der durchschnittliche Deutsche circa 10.000 Gegenstände besitzt, Tendenz steigend. Wir häufen diesen Besitz über lange Jahre an und verknüpfen Emotionen damit. Diese Emotionen können ganz unterschiedlich sein, zum Beispiel anfängliche Freude, Erinnerungen an bestimmte Ereignisse, auf jeden Fall gibt uns Besitz immer auch ein Gefühl von Sicherheit. Wir sorgen sozusagen unbewusst für schlechte Zeiten vor. Da macht es dann auch Sinn, sollte einem irgendwann doch alles zu viel werden, diese Verbindungen achtsam wieder zu lösen.
Ein weiterer Aspekt, sich nicht in einer Hauruck-Aktion von einem großen Teil seines Besitzes zu trennen, ist die Wertschätzung für die einzelnen Gegenstände. In allem, was wir besitzen, steckt jede Menge Energie und Ressourcen. Einmal natürlich im Hinblick auf die Umwelt, die ganzen Rohstoffe und Energie, die bei der Herstellung verbraucht wurden. Aber auch oft viele Stunden an Handarbeit und je nachdem, wo und wie die Gegenstände hergestellt wurden, unter Bedingungen, die wir uns gar nicht vorstellen möchten. Nicht zuletzt stecken unsere eigene Energie und ein Teil unserer Lebenszeit darin. Hast du dir beim Kauf einer Hose oder eines Regals schon einmal überlegt, wie viele Stunden du dafür arbeiten musst? Und macht dir deine Arbeit Spaß?
Aus dem Aspekt der Wertschätzung ergibt sich dann auch, dass sich in mir alles sträubt, brauchbare und unbeschädigte Gegenstände in Müllsäcke zu stopfen und zu entsorgen, nur weil sie vielleicht nicht mehr meinem Geschmack oder meinen Gewohnheiten und Interessen entsprechen. Dadurch schaden wir der Umwelt, da ausmisten inzwischen zu einem regelrechten Trend geworden ist und es gibt genügend Menschen, die unseren Sachen vielleicht gerne ein zweites Leben schenken würden.
Nachhaltige Entsorgung
Vermutlich war es noch nie so einfach wie heute, sich nachhaltig von seinen Sachen zu trennen. Fast in jedem größeren Ort gibt es Second Hand-Läden für Kleidung und Haushaltsgegenstände, Flohmärkte und Spendenaktionen oder du nutzt die verschiedenen Plattformen im Internet. Wir haben zum Beispiel schon einiges über Anzeigen verkauft und verschenkt oder gespendet. Zugegeben, das macht mehr Mühe als ein paar Säcke im Müll zu entsorgen, aber es ist auch befriedigend und hinterlässt ein gutes Gefühl zu wissen, dass wir jemandem eine Freude damit machen können und die Sachen weiter genutzt werden.
Die Wohnung ist entrümpelt. Was jetzt?
Meist ist der erste Schritt hin zu einem einfachen Leben das Ausmisten der Sachen, die uns physisch umgeben. Aber wenn das geschafft ist, haben wir oft das Bedürfnis, das Loslassen und Entrümpeln auch auf andere Lebensbereiche auszuweiten.
Konsum
Wer seine Wohnung oder sein Haus entrümpelt, kann zukünftig ganz unterschiedlich, damit umgehen. Leere Regale oder Schränke sind erst einmal ungewohnt. Daraus entsteht dann oft der Wunsch, die Lücken schnell wieder durch neue, noch schönere Sachen zu füllen.
Idealerweise bewirkt der Prozess des Loslassens allerdings, das künftige Kaufverhalten zu überdenken, um nach der ganzen Mühe nicht schon nach kurzer Zeit einen Jojo-Effekt zu erleben.
Wir sind in unserem Prozess immer noch auf dem Weg, trotzdem haben wir inzwischen begonnen, unser Kaufverhalten zu verändern. Es klappt noch nicht immer, aber wir treffen unsere Kaufentscheidungen immer bewusster.
Wohnraum
Manche Menschen entrümpeln so gründlich und stellen ihr Konsumverhalten so nachhaltig um, dass irgendwann die Wohnung oder das Haus zu groß geworden ist.
In diesem Fall gibt es verschiedene Möglichkeiten. Der frei gewordene Platz kann zum Beispiel genutzt werden, um sich einen Rückzugsbereich einzurichten, in dem man ungestört seinem Hobby nachgehen kann oder als gemütliche Meditationsecke gestaltet werden. Überlege dir doch mal, was du mit etwas zusätzlichem Platz machen würdest. Spukt dir vielleicht schon länger eine Idee im Kopf herum, aber du weißt im Moment nicht, wo du sie verwirklichen kannst, weil alles vollgestellt ist?
Falls sogar ein ganzer Raum frei geworden ist, der eigentlich nicht benötigt wird, gibt es auch die Möglichkeit, sich mal in der Nachbarschaft umzuhören. Es gibt viele Menschen, die von zu Hause arbeiten, denen es in der Familie aber zeitweise an Ruhe fehlt. Oder Menschen, die gerne ein Hobby oder eine Nebentätigkeit beginnen würden, denen der nötige Platz in den eigenen Wänden dazu aber fehlt und auch das nötige Kapital, um sich zusätzlichen Raum zu mieten. In diesem Fall können alle Beteiligten davon profitieren. Die einen unterstützen andere Menschen dabei, sich den nötigen Freiraum zu verschaffen oder ihre Träume zu verwirklichen und haben die Chance, dass sich daraus interessante Gespräche ergeben oder sogar eine Freundschaft entsteht.
Eine weitere Möglichkeit wäre auch, den eigenen Wohnraum anzupassen und sich nach einer kleineren Wohnung oder einem kleineren Haus umzusehen. Das kann am Ende jede Menge Zeit und Geld sparen, wodurch man sich vielleicht etwas leisten kann, von dem man schon lange träumt. Was könnte das bei dir sein?
Freizeit
Beim Thema Freizeitgestaltung gehen die Meinungen bei Minimalisten etwas auseinander, abhängig davon, was sie als Minimalisten antreibt.
Die einen unternehmen keine längeren Flugreisen mehr aus Rücksicht auf die Umwelt, planen auch sonst ihre Freizeit sehr bewusst und ressourcenschonend und bevorzugen Ziele und Aktivitäten in der nähren Umgebung.
Andere Minimalisten nutzen das durch den minimalistischen Lebensstil gewonnene Geld, um damit Reisen zu unternehmen, die sie sich sonst nicht leisten gekonnt hätten. Das Motto lautet hier: Erlebnisse statt Dinge.
Bei der Freizeitgestaltung hat es sich bei uns fast von alleine so ergeben, dass wir schon seit Jahren nur noch innerhalb von Deutschland verreisen. Bei weiteren Strecken nutzen wir, wenn möglich, den Zug. Wir haben das Glück, dass wir in einer landschaftlich sehr schönen Gegend wohnen und verbringen unsere Freizeit und die Urlaube meist am Bodensee, im Schwarzwald oder im Donautal.
Verpflichtungen
Verpflichtungen gehen wir manchmal ein, weil wir uns im entscheidenden Moment nicht trauen nein zu sagen, weil wir uns gut dabei fühlen, jemandem zu helfen oder weil wir die Aufgabe und den damit verbundenen Aufwand vielleicht unterschätzt haben. Das heißt nicht, dass Verpflichtungen generell etwas Schlechtes sind. Aber sobald sie uns belasten, negative Emotionen erzeugen oder uns über den Kopf wachsen, weil es mit der Zeit zu viele geworden sind, ist es höchste Zeit, sie auf den Prüfstand zu stellen.
Dabei sollten wir uns ehrlich fragen, was genau die negativen Emotionen erzeugt, was sich ändern müsste, um uns zu entlasten oder ob wir die Verpflichtung, wenn möglich, ganz lösen wollen.
Hast du auch Verpflichtungen, die du am liebsten aufgeben würdest? Überlege doch einmal, welche Möglichkeiten es geben würde. Oder kann dich vielleicht jemand unterstützen?
Beziehungen
Gibt es in deinem Umfeld auch Menschen, bei denen du nach jedem Kontakt feststellst, dass sie dir sämtliche Energie geraubt haben und deine Stimmung auf einmal um einige Punkte nach unten gegangen ist?
Wenn du feststellst, dass dir bestimmte Menschen einfach nicht guttun, habe den Mut, dich aus diesen Beziehungen zu lösen. Am besten ist ein klärendes Gespräch, was allerdings oft Überwindung kostet. Aus manchen Beziehungen kann man sich vielleicht auch ausschleichen und sich aus den Augen verlieren.
Handelt es sich bei den Menschen um Familienmitglieder oder Kollegen, ist es normalerweise nur schwer möglich, den Kontakt zu lösen. Hier kann manchmal ein offenes Gespräch helfen oder du versuchst den Kontakt auf ein Minimum zu beschränken.
Arbeit
Aus der Gallup-Studie, die regelmäßig durchgeführt wird, ging 2018 hervor, dass 71% der Beschäftigten nur noch Dienst nach Plan machen und weitere 14% bereits innerlich gekündigt haben. Vielleicht gehörst du auch zu denjenigen, die sich am liebsten sofort von ihrem Arbeitsplatz trennen würden. Es gibt allerdings jede Menge Gründe, die uns davon abhalten können, obwohl wir täglich merken, dass uns entweder die Arbeit selbst, der fehlende Sinn in unserer Arbeit oder das soziale Umfeld am Arbeitsplatz schaden.
In größeren Unternehmen besteht manchmal die Möglichkeit, in einen anderen Bereich zu wechseln. Je nach Tätigkeit bietet es sich vielleicht auch an, im Home-Office zu arbeiten.
Durch Minimalismus und die damit verbundenen geringeren Ausgaben kann es vielleicht sogar möglich werden, die Arbeitszeit zu reduzieren oder einen Job anzunehmen, der zwar nicht so gut bezahlt ist, dafür aber mehr Erfüllung bringt.
Minimalismus als Lebenseinstellung
Wie der Artikel zeigt, bietet Minimalismus so viel mehr als nur die Wohnung zu entrümpeln. Ausgedehnt auf weitere Lebensbereiche hat der Minimalismus das Potential, sich mit der Zeit zu einer Lebenseinstellung zu entwickeln.
Wie sieht es bei dir aus? Fallen dir in deinem Leben noch mehr Bereiche ein, in denen du gerne Ballast loslassen würdest? Überlege dir, wie du dabei vorgehen könntest und versuche deine Ideen Schritt für Schritt umzusetzen, damit auch du deinem einfachen Leben immer näher kommst.







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